Tagungsbericht

Akademie Mitteleuropa e.V.

„Deutsch-jüdische Kultur- und Beziehungsgeschichte im östlichen Europa“ vom 1. bis 5. Dezember 2013 in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“

Mitkonstituierend für Ostmitteleuropa ist das (frühere in Resten bis heute) Vorhandensein einer deutschsprachigen und jüdischen Bevölkerung sowie die Verbreitung der deutschen Sprache (ggf. als Zweitsprache) im Alltag zwischen den verschiedenen Ethnien. Ostmitteleuropa ist geradezu geprägt von Misch- und Überlappungsgebieten verschiedener ethnischer und konfessioneller Gruppen etc., darunter Deutschen und Juden, wobei ein Teil der jüdischen Gruppen in Ostmitteleuropa sich als Deutsche oder Österreicher gesehen und gefühlt haben und diese heutige Unterscheidung wahrscheinlich nicht verstanden und keinesfalls geteilt hätten. In der Veranstaltung wurde der Beziehungsgeschichte zwischen Deutschen und Juden in Ostmitteleuropa in Ansätzen und durch unterschiedliche Zugänge (Literatur-, Kultur-, Sozial- und Stadtgeschichte, Identitätskonstruktionen und Mentalitäten, Stereotype, etc.) anhand einiger ausgewählter Themenkreise bekannt gemacht werden. Es wurden den Teilnehmenden Anregungen für eine wissenschaftliche Beschäftigung im Studium oder für eine Abschlußarbeit zu Persönlichkeiten, literarischen oder künstlerischen Werken, der Beziehungsgeschichte von Deutschen und Juden in ihrer Heimatregion angeboten.

Die Zielgruppe des Seminars waren deutschsprachige Studierende geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer aus Deutschland und den östlichen Nachbarstaaten. Es haben insgesamt 16 Personen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Ungarn, Rumänien, Italien, Tschechien und Polen referiert. Die Teilnehmerschaft, 37 Personen, setzte sich wie folgt zusammen: 12 aus Ungarn, 23 aus Rumänien und zwei aus Deutschland.

Am ersten Abend stand eine Einführung in das Leben und Werk des seinerzeit weltberühmten Tenors Joseph Schmidt – geboren 1904 im damaligen habsburgischen Kronland Bukowina, gestorben 1944 bei Zürich in einem Internierungslager für Flüchtlinge – auf dem Programm. Die Einführung gestalteten Carsten Eichenberger, Stuttgart, und Alfred Fassbind, Zürich, in dialogischer Form. Die Bukowina war bis zum Ersten Weltkrieg geprägt vom friedlichen Zusammenleben verschiedener Ethnien (Ruthenen, Rumänen, Deutschen, Armeniern u.a.) sowie Religionen und Konfessionen (orthodox, uniert, katholisch, evangelisch; chassidische, aufgeklärte, säkulare, zionistische etc. Juden). Die meisten Bukowiner – auch die teilweise des Lesens und Schreibens unkundige Landbevölkerung – waren mehrsprachig, wobei aber die deutsche Sprache als verbindendes Element dominierte. Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Bukowina aus der Konkursmasse der Habsburgermonarchie zu Großrumänien. Schmidt war zunächst Sänger in der Czernowitzer Synagoge, wo sein Gesangstalent als Chorsänger, später Vorbeter, entdeckt wurde. Sein Vater war ein strenggläubiger Chassid. Joseph Schmidt gehörte zeitweilig einer zionistischen Jugendorganisation an. Er erhielt Mitte der 1920er Jahre in Berlin eine Gesangsausbildung und versuchte ein Engagement auf der Bühne zu erhalten. Aufgrund seiner geringen Körpergröße gelang dieses nicht. Jedoch wurde er 1929 für das neue Massenmedium Rundfunk entdeckt und avancierte zum Publikumsliebling. Über acht Jahre erlebte er unvorstellbare künstlerische Triumphe, in Deutschland, Österreich, den Nachbarländern, aber auch in England und den USA. Er spielte insgesamt über 200 Schallplatten ein, darunter über 40 Opern und 15 Operetten, aber auch über 100 Platten mit jüdischer liturgischer Musik der liberalen Berliner Reformgemeinde. 1933 kam der erfolgreiche Spielfilm „Ein Lied geht um die Welt…“ mit Schmidt in der Hauptrolle in die Kinos. Aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der rassistischen Ausgrenzung und Politik, durfte er schon bald nicht mehr im Rundfunk auftreten, seine Schallplattenaufnahmen durften nicht mehr öffentlich gespielt und verkauft werden. Schmidt emigrierte umgehend nach Wien und konnte eine internationale Sänger- und Filmkarriere bis zum „Anschluß“ Österreichs im März 1938 fortsetzen. Kurz vor dem „Anschluß“ gelang es ihm sich gerade noch nach Brüssel abzusetzen, doch bald wurde auch Belgien besetzt. Mit dem Ziel Europa zu verlassen, reiste Schmidt 1941 nach Südfrankreich. Er scheiterte mehrere Male bei dem Versuch in die USA auszureisen. Im Oktober 1942 gelang ihm illegale Grenzübertritt in die Schweiz, wo er in ein Internierungslager eingewiesen wurde. Schmidt erkrankte schwer und wurde unzureichend ärztlich behandelt, so dass er am 16. November 1942 starb. Bis in die Gegenwart ist er vor allem als Tenor und Schlagersänger noch bekannt.

„Geschichte und Erzählung“ – Galizien im Ersten Weltkrieg im Spiegel deutschsprachig-jüdischer Literatur und Publizistik, lautete das Vortragsthema von PD Dr. Petra Ernst, Graz. Im Zentrum standen Überlegungen über das schwierige Verhältnis von historischem Ereignis, individuellem Erlebnis und dem Erzählen darüber. Sichtbar gemacht wurde das – aus aktuellem Anlass – am Beispiel ausgewählter deutschsprachig-jüdischer Texte zum Ersten Weltkrieg, v. a. literarischer und publizistischer Reaktionen auf die Kriegsereignisse in Galizien im ersten Kriegsjahr 1914/15. Näher beleuchtet wurde der kurze Bericht eines russisch-jüdischen Kriegsgefangenen namens Boris Dawidowicz aus dem Jahr 1914, eine 1915 publizierte Novelle von Kurt Münzer (1879–1944) sowie eine Passage aus der erst 1974 veröffentlichten Autobiographie „Die Wasserträger Gottes“ von Manès Sperber (1905–1984). Die behandelten Texte bezogen sich vorrangig auf die Situation der jüdischen Zivilbevölkerung während der heftigen Kämpfe zwischen den zaristischen und den k. u. k. Truppen und der zeitweisen Besetzung des Landes sowie auf das Phänomen irritierender Wahrnehmung in Zeiten krisenhafter Verunsicherung.

Frank Schablewskis Vortrag zum Buch „Der Sturz“ von Robert Flinker gab eine literarische Sicht der Zeit, die das Seminar beleuchtete, wieder. Der Schriftsteller und Essayist Robert Flinker, geboren 1906 in Wischnitz, Bukowina, entstammte einer jüdischen Familie. Er besuchte das Gymnasium in Czernowitz und studierte anschließend Medizin an der Universität Wien. 1930 wurde er zum Doktor der Medizin promoviert. Von 1930 bis 1932 wirkte er in Deutschland und von 1932 bis 1936 in Czernowitz als Nervenarzt. Anschließend hielt er sich studienhalber in der Schweiz auf, wo er bis 1940 als Arzt an der Neurologischen Klinik in Zürich tätig war. Nach seiner Rückkehr nach Czernowitz war er Chefarzt an der dortigen Nervenheilanstalt. Während der Jahre von 1941 bis 1944, in denen die Bukowina zu Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion von deutschen Truppen erobert wurde und anschließend unter rumänischer Verwaltung stand, war die Situation für die jüdische Bevölkerung von Judenverfolgungen und -deportationen geprägt. Robert Flinker hielt sich während dieser Zeit versteckt; erst nach dem Abzug der Wehrmacht im Jahr 1944 wirkte er wieder als Arzt, nunmehr als leitender Arzt am Bukarester Zentralkrankenhaus. Ein Jahr später beging er aus Liebeskummer Selbstmord. Robert Flinker war neben seinem Hauptberuf als Arzt auch als Schriftsteller tätig. Er verfasste Romane, Erzählungen und Gedichte. Zu Lebzeiten sind seine Romane und Erzählungen nicht erschienen. Sein Bruder konnte sie erst 1970 in Bukarest veröffentlichen. Flinkers Romane werden häufig wegen der mit literarischen Mitteln gestalteten „Paradigmen einer Machtstruktur“ mit Kafkas Werk verglichen. In der „Psychologie und Psychopathologie der Hysterie“, Leipzig 1938, beschäftigte er sich mit dem Phänomen der Masse, mit der sich später Elias Canetti in „Masse und Macht“ auseinandersetzte. Der Druck auf seine Existenz schien damals noch nicht so groß gewesen zu sein. In diesem Roman spiegeln sich auch seine essayistischen Aufzeichnungen zur Massenhysterie wieder.

Dr. Robert Luft, Collegium Carolinum, München, behandelte in seinem Beitrag das Thema: „Jüdische Identitäten in Böhmen und Mähren im 19. und 20. Jahrhundert“. Darin ging er auf die rechtliche, demographische und soziokulturelle Entwicklung der Juden von 1800 bis 1945. Fast ein Jahrhundert dauerte der Prozess der Gleichstellung der Juden von den Toleranzpatenten der Jahre 1781 bis 1783 über die Reformen von 1849 und bis hin zur Verfassung von 1867. Eine Besonderheit war dabei einerseits der wachsende Zuzug Juden vom böhmischen Land und den Städten nach Prag und andererseits eine seit 1900 zurückgehende Zahl von Juden in den böhmischen Ländern, da es – anders als in Wien oder Berlin – in der Zwischenkriegszeit kaum zu Zuwanderungen aus Polen und der Sowjetunion kam. Prag, ein Zentrum des Judentum in Mitteleuropa, das als eine der wenigen großen Judengemeinden Mitteleuropas faktisch seit dem Mittelalter bestand, erlangte so in den 1930er Jahren auch numerisch eine dominante Stellung innerhalb der böhmischen Juden. Der Zuzug der meist tschechischsprachigen Landjuden veränderte auch die nationale Orientierung und Bündnisfähigkeit der bis dahin vor allem deutschsprachigen Prager Juden. Im Rahmen der Vergesellschaftung der Juden seit ca. 1848 entstanden neben den traditionellen Wohltätigkeits- und Begräbnisvereinen vor allem jüdische Studenten- und Sportvereine, Zeitungen und Parteien, was in der Gründung des Jüdischen Nationalrats in Prag 1918 gipfelte. Diese jüdisch-nationale Selbstorganisation und Identitätsbildungen waren auch die Basis dafür, dass 1921 und 1923 die Zionistenkongresse in Karlsbad und 1929 der Makkbi-Weltkongress in Mährisch Ostrau/Ostrava stattfinden konnten. Das innerjüdische Identitätsspektrum und das Netz der Loyalitäten reichte von jüdisch-orthodox-traditionalen oder dem national-assimilierten über jüdisch-nationale bis hin zu zionistischen oder sozialistisch-atheistischen Positionen und schloss das sich überlappende Spektrum deutsch-nationaler oder tschechisch-nationaler Positionierungen, die landes- und lokalpatriotischen Einstellungen sowie Dynastie- und Präsidententreue sowie bewusstes Staatsbürgertum in der Habsburgermonarchie und in der Tschechoslowakei ein.

Prof. Dr. Carol Sauerland, Warschau, analysierte in seinem Vortrag „Döblins Reise in Polen“, eine Publikation, die Alfred Döblin nach seiner Polenreise 1924 schrieb. Döblin war dorthin gefahren, um „wahre Juden“ kennenzulernen, denn er war nach den pogromartigen Vorgängen, im Osten Berlins, in der Gollnowstraße und Umgebung, zu dem Schluß gekommen, dass er nicht wisse, was wahre Juden seien. Döblin selbst war zwar jüdischer Herkunft, konnte aber damit aber wenig anfangen. Er war gänzlich assimiliert aufgewachsen. Er besucht Warschau, wo er die dort lebenden Juden mit Schrecken wahrnahm. Sollten das seine Vorfahren sein? Er befasste sich aber mehr und mehr mit dem jüdischen Leben in Polen und mußte feststellen, dass es eine sehr unterschiedliche Judenheit in den einzelnen Städten: in Wilna, Lublin, Lemberg und anderswo gab. Gleichzeitig lernte er ein Land kennen, das ein Vielvölkerstaat war: neben Polen lebten dort Ukrainer, Litauer, Deutsche und eben Juden, die eine eigene Sprache, das Jiddische sprechen.

Dr. Mirek Nemec, Aussig/Ustí nad Labem, sprach über die „Jüdisch-Österreichische Symbiose? Wiener Stereotype in der Zwischenkriegszeit“. Der Vortrag setzte sich anhand des 1922 erschienenen und in Österreich populären Roman „Die Stadt ohne Juden“ von Hugo Bettauer mit den Stereotypen in der Wiener Gesellschaft auseinander. Es wurde versucht, hinter diesem öfters in die Kategorie der Trivialliteratur abgewerteten Werk, das aber zugleich ein besonderes Zeitdokument darstellt, die Positionierung von Bettauer im durch den Zerfall der Habsburgermonarchie ausgelösten Prozess der Bildung einer neuen österreichischen Identität zu deuten. Der Autor warb, nach dem Urteil des Referenten, für eine jüdisch-österreichische Symbiose, die vor 1914 erst das typisch Wienerische ermöglichte und auch nach 1918, in anderen politischen Bedingungen, weiter ausmachen soll. Dabei analysierte der Redner die von Bettauer geschickt in die Romanhandlung eingesetzten und damals gängigen Auto- als auch Heterostereotype. Sie sollten nun von Lesern nicht negativ konnotiert werden, sondern umgekehrt für die verstärkte Integration der jüdischen Bevölkerung nach dem Zerfall des Habsburgerreiches werben. Diese wäre nicht nur für die jüdische Bevölkerung von Vorteil, sondern es hätte wesentlich auch die österreichische Gesellschaft davon profitieren können. Interessant sind die zahlreichen intertextuellen und intermedialen Hinweise in Bettauers kritischer Satire, die das politische Plädoyer einer österreichisch-jüdischen Symbiose verstärken und damit die aktuelle Suche nach einer neuen (klein)österreichischen Identität in gewünschte Richtung zu beeinflussen suchten.

Der Beitrag von Dr. Olaf Terpitz, Universität Wien, behandelte das Thema „Übersetzung und Übertragung. Kulturelle Begegnungen in Petersburg und Berlin (1880er bis 1920er Jahre)“. Terpitz knüpfte an den Titel der Tagung „Deutsch-jüdische Kultur- und Beziehungsgeschichte im östlichen Europa“ an, welches den geographischen Raum und die Forschungsaspekte, die an ihn gerichtet werden, vorgab. Der Titel enthält aber ungesagt eine Bestimmung der Zeitlichkeit in semantischer Hinsicht – wenngleich oder gerade weil der Zeitrahmen unbenannt bleibt. Das Thema vereinigte die Bruchzonen, die zwischen „imperialer“, „postimperialer“ und gleichfalls auch gewissermaßen „postnationaler“ Kondition europäischer Judenheiten auftraten. Wohlgemerkt europäischer Judenheiten – nicht nur weil die Problematik und Idee Europas seit dem 19. Jahrhundert die deutsch-, österreichisch-ungarisch und eben auch die russländisch-jüdische Judenheiten in ihrer kultureller Produktion prägten. Die gegenseitigen Wahrnehmungen der europäischen Judenheiten zeichneten sich etwa in den Dichotomien von Deutsch vs. Russisch, Ost vs. West, Jiddisch vs. Hebräisch, säkular vs. sakral usw. aus. An zwei Fallbeispielen von gesellschaftlichen Kommunikatoren zeigte Terpitz die möglichen und unmöglichen Interaktionen zwischen deutsch- und russischsprachiger Judenheit auf der Ebene der Übersetzung bzw. kulturellen Übertragung auf, nicht zuletzt schließlich auch im Vergleich zwischen imperialer und postimperialer Kondition. Er spürte den Begegnungsprozessen anhand der Fallbeispiele zum einen des Übersetzers und Publizisten Adolf Landau und zum anderen des Historikers Simon Dubnow und seiner Übersetzers Aaron Steinberg nach. Der Referent setzte dabei das heute gängige Verständnis von einem national einengenden Konstrukt von Sprache ins Verhältnis zur imperialen Mehrsprachigkeit Europas, die bis zu den Nationalisierungen Ende des 19. Jahrhunderts und schließlich der Zäsur des Ersten Weltkriegs währte zu den in der Migration vorzufindenden Residuen des Imperialen.

 

Mit „Leopold Kompert. Seinen Erzählungen und das Zentralmotiv der religionsübergreifenden Liebes- und Eheverbindungen“ beschäftigte sich die Doktorandin Ingrid Steiger-Schumann, Zürich. Am Anfang ihres Vortrags gab sie einen konzisen Überblick zu Leopold Komperts Leben und eine Kurzcharakterisierung seiner literarischen Verdienste. Kompfert wurde 1822 in Böhmen geboren und war ein erfolgreicher Schriftsteller und Redakteur in Wien, wo er 1886 starb. Anschließend wurden die verschiedenen Möglichkeiten umrissen, die Kompert bezüglich der religionsübergreifenden Liebes- und Eheverbindungen in seinen Erzählungen ausgelotet hat. Es zeigte sich dabei ein recht weiter Fächer von Ausprägungen in diesem Spannungsfeld: von radikal scheiternden Beziehungen bis hin zu schwer errungenen Lösungen. Im Zentrum von Steiger-Schumanns Ausführungen stand eine genauere Interpretation von zwei besonders gelungenen Werken Komperts: der Erzählung „Christian und Lea“ von 1862 und des Romans „Zwischen Ruinen“ von 1875. Darin zeigt er auf subtile psychologische Weise, wie nach der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Zusammenfinden von jüdischen und christlichen Partnern möglich ist. Seine Figuren fühlen sich einerseits der angestammten Religion verbunden, wollen aber andererseits ihr Leben individuell bestimmen. Aus dieser modernen Befindlichkeit und der zunehmenden Durchlässigkeit zwischen christlicher und jüdischer Lebenswelt ergaben sich vielfache Konstellationen und mannigfaltige Probleme. Kompert hat in seinen Erzählungen einige bedeutsame Lösungsansätze und lebensbejahende Kompromisse zu dieser Problematik dargestellt.

Ein „Epochenporträt im Film. István Szabós Film: Ein Hauch von Sonnenschein“ untersuchte Renata Crişan, Großwardein/Oradea. Sie führte aus, dass es in der europäischen, der ungarischen und speziell der jüdisch-ungarischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts viele tragische Aspekte gab. István Szabo verfolgt mit seinem Filmschaffen das Ziel ein Chronist des 20. Jahrhunderts zu sein. Er war und ist bemüht, diese oft tragische Periode in Filmen nachzustellen. In einem Interview äußerte der sein Credo, er wolle zeigen, „wie das private Leben der Menschen von der Geschichte und der Politik beeinflußt worden ist“. Er wollte verdeutlichen, dass die totalitären Regime alle nach gleichen Prinzipien funktionieren. Das „Epochenporträt“ umfasst die Krise und den Niedergang des österreich-ungarischen Kaiserreichs, den Ersten Weltkrieg, die ungarische Revolution von 1919, den Aufstieg des Faschismus, den Zweiten Weltkrieg, den Holocaust, die Revolution von 1956 und schließlich den Zusammenbruch des Stalinismus. „Ein Hauch von Sonnenschein“ erzählt die Geschichte mehrerer Generationen einer emanzipierten und assimilierten bürgerlichen ungarisch-jüdischen Unternehmerfamilie vom Ende des 19. bis über die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinaus. Der Film veranschaulichte die Verfolgung und Vernichtung einer jüdischen Familie aus jeweils anderen politischen Gründen.

„Eine Stadt, viele Perspektiven: Berlin als literarischer Raum der Zwischenkriegszeit“ benannte Dr. Britta Korkowsky, Göttingen, ihren interaktiven Beitrag, in welchem die Teilnehmenden sich vielfach in neu zusammengestellten Gruppen literarische Texte russisch-jüdischer Autoren analysierten und diskutieren. In den Literaturen der Zwischenkriegszeit war Berlin vielfach Kulisse und Gegenstand literarischen Schaffens. Berlin, die Metropole der Moderne, wird mit ausschweifenden Vergnügungen assoziiert: Freie Sexualität, Kabarett, Boxkämpfen, Radrennen, aber auch mit Problemen: politischer Mord, instabile Demokratie, Armut, Inflation, Arbeitslosigkeit, politische Radikalisierung. Literarische Texte osteuropäisch-jüdischer Migranten aus und über die Stadt zeigen ein Berlin, welches aus der Perspektive des Fremden wahrgenommen wurde. Die Referentin stellte dem Publikum ausgewählte Texte, Prosa und Lyrik, von Vera Lur'e, Il'ja Ėrenburg, Viktor Šklovskij, Lev Lunc und Vladislav Chodasevič in deutscher Übersetzung zur Verfügung und es war die Aufgabe in Kleingruppen die jeweiligen Texte zu lesen und Fragen nach Erzählperspektive, Handlungsräumen und handelnden Personen zu erschließen. Nach einer neuen Aufteilung der Kleingruppen stellen die Studierenden sich gegenseitig die Ergebnisse zu den einzelnen Texten vor und arbeiten Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus, die wiederum im Plenum diskutiert werden. In den Texten osteuropäisch-jüdischer Migranten bleibt das Berlin der Goldenen Zwanziger weitestgehend ausgeklammert, das eingangs durch die Assoziationen der Studierenden beschrieben wurde. Als Handlungsräume der literarischen Texte wurden Orte des Übergangs gewählt wie Bahnhöfe, Straßen, Cafés, öffentlicher Nahverkehr u. ä. Diese Zwischenräume sind durchweg öffentliche oder halböffentliche Räume, die mit Marc Augé als „Nicht-Orte“ oder mit Michel Foucault als „Heterotopien“ definiert werden können. Die Erzählerfiguren wahren Distanz zur Stadt Berlin, wobei verschiedene Verfahren der Distanzschaffung genutzt werden, wie beispielsweise Ironie oder Illusionsdurchbrechung. Das Berlin der Deutschen fand hingegen kaum Beachtung, so dass die literarischen Figuren in Berlin in einem Zwischenraum verbleiben. Dieses andere Berlin steht in einem starken Kontrast zu den gängigen Klischees von Berlin als Vergnügungsmetropole und beleuchtet eine weitere Facette Berlins als literarischen Raum der Zwischenkriegszeit.

Noémi Kordics, Großwardein, nahm sich der „Geschichte und Lebensgeschichte zwischen den zwei Weltkriegen in Arthur Holitschers Autobiographien“ an. Gegenstand der Untersuchung waren die beiden 1924 und 1928 veröffentlichten Autobiographien „Lebensgeschichte eines Rebellen“ und „Mein Leben in dieser Zeit“. Arthur Holitscher wurde 1869 in Budapest als Spross einer großbürgerlichen deutschsprachigen-jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Nach Besuch des Gymnasiums machte er eine kaufmännische Lehre und war anschließend in verschiedenen Orten der Habsburgermonarchie als Bankangestellter tätig. Holltischers Wunsch war es Schriftsteller zu werden. 1893 debütiert er mit dem naturalistischen Novellenband „Leidende Menschen“. Er wechselte nach Paris und hatte Kontakt im dortigen Anarchistenmilieu. Diese politische Prägung bestimmte auch weiterhin sein Wirken. Im Ersten Weltkrieg wurde er Mitglied des pazifistischen „Bundes Neues Vaterland“ und nach dessen Verbot der „Deutschen Liga für Menschenrechte“, hier lange Jahre auch als Vorstandsmitglied. 1897 wurde Holitscher Redakteur des von Albert Langen herausgegebenen „Simplicissimus“ in München. Er pflegte Kontakte zu Thomas Mann, Frank Wedekind, Max Dauthendey und Eduard von Keyserling sowie anderen Literaturgrößen jener Zeit. 1907 wechselte Holitscher nach Berlin und wurde Lektor bei Bruno Cassirer. 1908 erschien (bei Samuel Fischer, der bis 1933 sein Verleger war) sein Drama „Der Golem“, welcher nach dem Weltkrieg von Paul Wegener verfilmt wurde und dadurch wohl zum bekanntesten Werk Holitschers geworden ist. Der literarische Durchbruch gelang ihm jedoch mit Reisereportagen, vor allem „Amerika heute und morgen“, welches zum zeitgenössischen Muster sozialengagierter Reiseberichte und Reportagebücher wurde. Er berichtete aus Palästina, Indien, Sowjetrussland und wieder aus den Vereinigten Staaten von Amerika. 1933 wurden Arthur Holitschers Bücher von den Nationalsozialisten verboten und verbrannt. Er ging umgehend ins Exil, zunächst nach Paris, und dann weiter in die Schweiz. 1941 starb Hollitscher krank und verarmt in Genf. Der ebenfalls exillierte Robert Musil hielt die Trauerrede.

Dr. Péter Varga, Budapest, widmete sich dem ungarisch-jüdischen Autor Andreas Latzko (1876-1953). Latzko gehört zu den vergessenen ungarischen Autoren deutscher Sprache, der in keine Schublade der Literaturgeschichte hineinpasst. Für die ungarische Literatur war er uninteressant, da er überwiegend nicht auf Ungarisch schrieb. Er lebte fortwährend im Ausland, zuerst viele Jahre in Berlin, dann in der Schweiz, zwischendurch in Paris, und schließlich in Holland, wo er 1953 starb. Er stammte aus einer jüdischen Bankiersfamilie, wurde aber römisch-katholisch getauft. Als Sohn einer Wienerin war seine ‚Mutter’-Sprache zwar Deutsch, musste sich jedoch diese Sprache als Absolvent ungarischer Mittelschulen mit einigen Mühen erarbeiten. Nach seiner Übersiedlung nach Berlin versuchte er im deutschen Presse-, Theater- und Literaturleben Fuß zu fassen. Er schrieb für die Zeitschriften „Simplicissimus“ und „Jugend“, sowie für die 1911 gegründeten Zeitschrift „Der Komet“. In Berlin wurden mehrere seiner Stücke gespielt. Seine Kriegserzählungen erschien zuerst 1916-1917 in verschiedenen Zeitungen in der Schweiz. 1918 wurden sechs Erzählungen in einem Band beim Züricher Verlag Rascher unter dem Titel „Menschen im Krieg“ vereinigt. In Latzkos Texten herrscht eine durch und durch satirische Grundstimmung, ein Galgenhumor, überladen von Emotionen, dargeboten im Staccato. Er wählte immer eine dem Stoff und der Aussage adäquate Darstellungsweise, in der das eruptive Wort im Zentrum steht – quasi als ein „lang gezogener Schrei“. Der äußere und innere Schrei ist Zitat des expressionistischen Topos, des ohnmächtigen, individuellen und innen verharrenden, weil letztlich unmitteilbaren Ausdrucks, wie etwa auf dem berühmten Bild von Edvard Munch. Im Zentrum seiner Novellen stehen jeweils die kleinen Helden, auch wenn gegebenenfalls der Protagonist ein Sieger ist. Erst 1993 wurde eine kleine Auswahl Latzkos Erzählungen neu herausgegeben. „Adolf Silberstein und Adolf Sternberg als Redakteure der Temesvarer Zeitung“ galt das Interesse von Eszter Szabó; Großwardein/Oradea. Den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bildete das Feuilleton des wichtigsten bürgerlichen Presseorgans im Banat in den Jahren 1871 und 1872. Die Temesvarer Zeitung wirkte in einer multikulturellen Gesellschaft, was seinen Niederschlag auch in den literarischen Texten, Essays, Berichten, Kommentaren und kritische Besprechungen fand. Dieses Blatt existierte als ein meinungsbildendes politisches Informationsblatt und spielte als Kulturfaktor eine wichtige Förder- und Vermittlerrolle. Ihr beinahe 100-jähriges Bestehen von 1852 bis 1949 bezeugt das Streben nach Kontinuität. Die einflußreichsten Hauptschriftsteller der Zeitspanne bis zur Jahrhundertwende waren Adolf Silberstein, Adolf Sternberg und Armin Barát. Silberstein, obwohl nur kurzfristig bei der Zeitung tätig, und Sternberg, der mehr als ein Jahrzehnt Leiter des Blattes war, haben mit eigenen wie auch fremden Beiträgen die dann insbesondere von Barát und Nachfolgern fortgeführte Tradition eines gepflegten Feuilletons begründet. Während der Ära-Sternberg erlebte das Blatt einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung. Der Redakteur selbst schrieb für die Temesvarer Zeitung nicht nur Leitartikel, Tagesberichte und Theaterchroniken, sondern auch Essays und Gedichte.

Szabolcs János, ebenfalls Großwardein, referierte über: „Die Rolle des jüdischen Bürgertums im kulturellen Leben Großwardeins/Nagyvárad“, der vor dem Ersten Weltkrieg zweitgrößten ungarischen Stadt. Die ersten schriftlichen Belege über jüdische Zuwanderer nach Großwardein stammen nach der Pestepidemie aus dem Jahre 1710. Einzelne Daten lassen vermuten, dass bereits vorher Juden in Großwardein gelebt haben. Der erste detaillierte Zensus stammt aus dem Jahre 1715 mit dem Ergebnis, dass es 22 Juden in Großwardein gab, 1736 ermittelte die Zählung 20 Familienhäupter. Ende des 19. Jahrhunderts war knapp ein Viertel (rund 15.000 Personen) der gesamten Bevölkerung jüdischer Herkunft. Die Juden durften anfangs kleinere Geschäfte führen und mussten Steuern bezahlen. Sie durften nur außerhalb der Stadt leben, abends mussten sie die Stadt verlassen. 1749 ist die Existenz einer Synagoge belegt. 1803 wurde das später „Alte Synagoge“ genannte Gebetshaus im barocken Stil gebaut. Die „Neue Synagoge“ folgte 1851. Eine repräsentative neologe Synagoge mit mehr als tausend Plätzen wurde 1878 im Zentrum der Stadt gebaut. 1890 wurde nicht weit davon eine orthodoxen Synagoge errichtet. Zuletzt wurde 1928 eine Synagoge errichtet. Insgesamt gab es weitere hundert kleinerer Bethäuser für chassidische und sephardische Juden. Die Juden Großwardeins nahmen Anteil am öffentlichen Leben und gründeten soziale Einrichtungen. Aus den Reihen der Juden stammen zahlreiche Ärzte, Architekten, Ingenieure, Rechtsanwälte oder Apotheker, die zur Entwicklung der Stadt viel beitrugen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs war Großwardein von einer schnellen Industrialisierung, Bevölkerungswachstum sowie reichhaltigem kulturellen Leben (Theater, Literatur, Publizistik, Kaffeehaus etc.) geprägt. Es wurde repräsentativ gebaut, ab 1870 eklektizistisch, danach im Jugendstil, vielfach von jüdischen Architekten oder für das jüdische Bürgertum. Chiara Conterno widmete sich den „Psalm-Gedichten von Isaak Schreyer (1890-1948)“, einem jüdischen Schriftsteller aus der Bukowina. Im Ersten Weltkrieg war Schreyer als Korporal einer Fernmeldeabteilung eines Infanterieregiments an der russischen und italienischen Front tätig. Dessen ungeachtet fand er Zeit, um an der Front Gedichte über die Kriegserfahrung zu verfassen. Darunter stechen seine Psalm-Gedichte hervor. Mit folgenden Worten hat Ernst Waldinger Schreyers Werk bezeichnet: „Schmal ist sein Werk an Umfang, doch seelische Reinheit und innerer Ernst gehen ihm nicht ab. Schwermütig tönen seine Melodien, und durch den Fall der freien Strophen kann man fast die Melismen und Kadenzen von alten Ritualgesängen mitschwingen hören. Expressives und Hymnisches waltet vor. Hölderlin und Trakl heißen Schreyers Götter, doch münden ihre elegischen Stimmen immer in den gewaltigen Orgelschwall der biblischen Psalmen, so dass aus allen drei Elementen schließlich doch ein Neues, unzweifelhaft Eigenartiges entsteht. So tief war die heilige Vätersprache in ihm eingewurzelt, dass einige seiner Gedichte, die ins Hebräische übertragen wurden, wie Originale anmuteten, und kaum einer einen deutschen Text dahinter erahnen konnte. Dennoch scheint immer wie durch einen Schleier Österreich durch, und in gewissen Jugendgedichten, die er unter dem Namen Herbert Urfahr veröffentlichte, lässt sich deutlich der Einfluß Hofmannsthals erkennen.“ In ihrer Analyse befasste sich Chiara Contento mit den „psalmischen“ Spuren in Schreyers Gedichten, seien sie inhaltlicher (d.h. durch Zitate) oder formaler (vgl. Parallelismus Membrorum, Anrufungen usw.) Natur. In diesem Kontext hat sie folgende Gedichte untersucht: „O Bruder Feind“, ein „Im Feld (Gärtnerwald), am 28. Februar“ 1917 verfasstes Gedicht; „Gebet“ und „In den ergrauten Wiesen“, mit der Datierung Kurowce, Galizien, am 31. Jänner bis 1. Februar 1918. Ferner hat sie sich mit einigen Gedichten auseinander gesetzt, die Schreyer selbst „Psalm“ betitelt hat, beispielsweise: „Psalm der Einsamkeit“, „Psalm der Erbitterung“, „Psalm der Nichtigkeit“ und „Psalm der Erfüllung“. Anhand dieser Beispiele lässt sich schließen, dass Schreyer im Psalter bewandert war, einige Stellen aus den Psalmen als Hypotexte für seine Gedichte verwendete und sich die Sprachgesten der Psalmen (Bitte, Lob, Klage, Dank) angeeignet hat.

Die vom Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und Medien (BKM) geförderte Veranstaltung diente dazu die deutsch-jüdische Beziehungs- und Kulturgeschichte in Ostmitteleuropa zu entdecken und zu vertiefen. Außerdem diente es einer länderübergreifende Vernetzung von mitteleuropäischen Studierenden untereinander und mit Vertretern einschlägiger Institutionen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Es sollte auf das gemeinsame deutsche und jüdische Kulturerbe in den jeweiligen Herkunftsregionen in Ostmitteleuropa (Archive, Autoren, Zeitungen, Zeitschriften etc.) hingewiesen werden. Es wurden einzelne Themenkomplexe exemplarisch behandelt, um Anregungen für eigene Forschungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

 

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